Nils Althaus
EEG-Headsets für jedermann erfassen Gehirnsignale und versprechen gesünderen Schlaf, bessere Konzentration oder tiefere Entspannung. Ihre Einsatzgebiete sind zurzeit noch begrenzt, das könnte sich aber bald ändern.
Das Gesicht des Kampfsportlers ist übersät mit blutigen Schrammen, doch das Leuchten in seinen Augen ist nicht zu übersehen. „Ich war noch nie so sehr im Moment wie heute.“ Max Griffin hat vor wenigen Stunden seinen Gegner Jeremiah Wells im Mixed-Martial-Arts, einer Vollkontakt-Kampfsportart, knapp nach Punkten besiegt. Den Erfolg schreibt Griffin zu wesentlichen Teilen dem EEG-Headset zu, mit dessen Hilfe er sich mental auf den Kampf vorbereitet hatte. „Es weiß, wenn du in Panik bist, es weiß, wenn du konzentriert bist.“ Mittels Elektroden registriert das Headset Griffins Gehirnaktivität. Verliert er bei einer Meditation den Fokus, meldet es sich mit Geräuschen von stürmischem Wind und signalisiert Griffin damit, dass er sich wieder konzentrieren soll.
Das Produkt namens Muse 2 der Firma InteraXon ist im freien Handel für wenige hundert Euro zu kaufen. Jeder und jede kann sich damit seine Gehirnsignale auslesen lassen und die neuronale Selbstoptimierung in Angriff nehmen. In Zukunft werden uns ähnliche Geräte möglicherweise vom Prokrastinieren abhalten, vor Angstzuständen warnen oder für uns Entscheidungen treffen, die uns wirklich glücklich machen. Patente von Meta und Apple deuten zudem darauf hin, dass Gehirnsensoren demnächst in In-Ear-Kopfhörer eingebaut und somit massentauglich werden könnten. Wohin geht die Entwicklung und was können die heutigen Geräte bereits?
Die Technik hinter den Headsets
Das Muse 2 und vergleichbare Produkte gehören zu den nicht-invasiven Brain-Computer-Interfaces (BCIs). Diese werden auf der Haut aufgebracht und zeichnen elektrische Gehirnsignale auf. Algorithmen lesen aus den Signalen heraus, ob der Benutzer gerade den Fokus verliert, müde wird oder am Aufwachen ist. Das löst ein entsprechendes Feedback aus: das Geräusch eines stürmischen Windes, ruhige Einschlafmusik oder eine Anzeige des Aufmerksamkeitsniveaus auf dem Smartphone-Bildschirm. Was diese BCIs nicht können, ist, selbst ins Gehirn einzugreifen. “Es wäre schön, wenn die Hersteller das deutlicher hinschreiben würden: dass ich als Nutzer das Wesentliche immer noch selbst mache”, meint Thomas Stieglitz, Professor für Biomedizinische Mikrotechnik an der Universität Freiburg.
Technologisch sind die Geräte kleine Geschwister der EEG-Hauben, die in der Gehirnforschung seit vielen Jahrzehnten eingesetzt werden. Die meisten dieser Hauben sehen aus wie Badekappen mit Drähten. Dreißig oder noch mehr Elektroden kommen mit der Kopfhaut in Kontakt und registrieren Spannungsschwankungen, die von feuernden Nervenzellen im Gehirn ausgelöst werden. Damit lassen sich etwa Epilepsie und andere Gehirnerkrankungen diagnostizieren.
Was die Geräte nicht können
Die heutigen Headsets für Endverbraucher enthalten statt dreißig nur etwa drei bis fünf Elektroden. „Ein epileptisches Zentrum im Gehirn kann man damit nicht lokalisieren, aber um die Aufmerksamkeit zu messen, reicht es“, sagt Stieglitz. Die Elektroden liegen trocken auf der Haut auf und müssen nicht, wie bei EEG-Hauben üblich, mit elektrisch leitfähigem Gel oder Kochsalzlösung befeuchtet werden. Das erleichtert zwar die Anwendung, hat aber gewichtige Nachteile für die Signalqualität. „Trockenelektroden haben einen höheren Übergangswiderstand zur Haut als Nasselektroden. Dadurch gehen die schwachen Signale des Gehirns leichter im Datenrauschen unter. Außerdem haften sie weniger gut auf der Kopfhaut. Bewegt man sich, verursacht das Störsignale“, erklärt Stieglitz. Nicht ganz überraschend sind die Produkte durchgehend auf Anwendungen zugeschnitten, bei denen man sich still verhält: Meditationen, Entspannungsübungen oder Schlaftracking. Beim Heavy-Metal-Konzertbesuch machen die Bewegungsartefakte das Signal zunichte.
In handverlesenen Einsatzgebieten können die Headsets mit den teuren Pendants aus den Forschungslabors durchaus mithalten. Entspannung, Konzentration und einen neutralen Geisteszustand kann das Muse S (ein EEG-Stirnband mit vier Elektroden) gemäß einer Studie zuverlässig unterscheiden. Starke und schwache Emotionen kann es sogar ähnlich gut auseinanderhalten wie eine hochwertige EEG-Haube mit zweiunddreißig Elektroden. Auch unterschiedliche Schlafstadien identifiziert es korrekt – mit einer Genauigkeit von 88% bis 96% im Vergleich zur Polysomnographie, der Standardmethode der Schlaflabors.
Der Weg zur breiten Anwendung
Mit verlässlichen Daten ist allerdings noch nicht alles getan. Schließlich benötigen die wenigsten Menschen EEG-Geräte, um festzustellen, ob sie gerade starke oder schwache Wutgefühle verspüren. Verbessern die Feedbacks der Headsets irgendetwas? Studien zur Wirksamkeit sind rar und oft wenig aussagekräftig, etwa weil die Placebobehandlung der Kontrollgruppe fehlt. Dadurch bleibt unklar, ob die beobachteten Effekte dem Headset selbst oder dem Placeboeffekt zuzuschreiben sind. Die wenigen Studien mit angemessenen Kontrollgruppen deuten auf eine leichte Steigerung von Achtsamkeit oder Aufmerksamkeit hin. Aufgrund geringer Probandenzahlen sind die Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen. „Wenn so ein Headset die Benutzer veranlasst, häufiger zu meditieren, spricht nichts dagegen“, resümiert Stieglitz.
Möglicherweise waren die EEG-Elektroden aber gar nicht ausschlaggebend für Max Griffins Sieg. Das von ihm verwendete Headset ist nämlich noch mit weiteren Sensoren bestückt, die Körperbewegungen, Atemrhythmus und Puls aufzeichnen. Andere Produkte wie etwa das BrainLink Pro der Firma Macrotellect erfassen zusätzlich die Stirntemperatur. Aus all diesen Parametern lässt sich ein mentaler Fokus womöglich bereits herauslesen – ganz ohne direkte Signale aus dem Gehirn.
Dunkle Seite der Gehirndaten
Also alles nur Augenwischerei? Mitnichten. Die Forschung und Entwicklung von BCIs ist im Aufschwung. “Die Regionen im und um das Ohr besitzen großes Potenzial”, sagt Marius Klug, BCI-Forscher an der Universität Cottbus. “Dort gibt es wenig Haare und die Elektroden lassen sich leicht in bestehende Produkte wie Kopfhörer integrieren.” Die ersten Modelle mit zwei Messelektroden sind bereits auf dem Markt. „Hochwertiger Klang“ kombiniert mit „Gehirndaten in Forschungsqualität“ verspricht die US-Firma Emotiv bei der Verwendung ihres Kopfhörers MN8. Marius Klug relativiert: “Interessant wird es, wenn die Geräte nicht nur elektrische Signale erfassen, sondern auch deren genauen Entstehungsort im Gehirn identifizieren können. Dafür braucht es aber mehr Elektroden.”
Das zu verwirklichen ist erklärtes Ziel der Zander Laboratories in Cottbus. Das Startup erhielt im vergangenen Jahr von der Deutschen Cyberagentur dreißig Millionen Euro, um Prototypen nutzerfreundlicher BCIs zu entwickeln. Innerhalb eines Jahres wuchs die Firma von fünf auf vierzig Mitarbeiter. „Unser neuester Prototyp unterscheidet hohe und tiefe kognitive Beanspruchung praktisch gleich gut wie ein 64-Elektrodensystem. Die Treffergenauigkeit liegt nur gerade zwei Prozent tiefer“, sagt der Geschäftsführer und Cottbusser Professor Thorsten Zander. Neuartige Feuchtelektroden sorgen für hohe Signalqualität. „Am Ende soll unser BCI fünfundzwanzig mentale Zustände unterscheiden können.“ Es könnte etwa bei Piloten zum Einsatz kommen, um frühzeitig Überraschungssignale zu erkennen und gefährliche Kurzschlusshandlungen zu verhindern. „Ende nächsten Jahres wollen wir damit auf den Markt“, so Zander.
Das Projekt muss noch einige Hürden überwinden: “Gehirne sind äußerst individuell und jedes Gehirn unterscheidet sich von Tag zu Tag. Will man viele unterschiedliche mentale Zustände aus den EEG-Daten herauslesen, müssen heute selbst die hochwertigsten Systeme immer wieder kalibriert werden – für jede Person und jede Situation von neuem”, erklärt Klug, der die Zander Laboratories berät.
Optimierung durch KI
Um diesen aufwändigen Prozess abzukürzen, setzen die Forschenden auf KI: “Erhöht man die Datenmengen radikal, scheinen die KI-Modelle besser verallgemeinern zu können. Ein einziges oder ein paar wenige Modelle könnten dann die Gehirndaten aller Nutzenden richtig interpretieren.” Zu diesem Zweck baut das Forschungsprojekt riesige EEG-Datenbanken auf und trainiert große KI-Modelle damit.
Auch andere treiben die Entwicklung voran. Der neue EEG-Over-Ear-Kopfhörer MW 75 der Firma Neurable mit zwölf Trockenelektroden ist in den USA bereits im Handel erhältlich. Erste Nutzerberichte versprechen kalibrationsfreie Verwendung. Bei den Bewegungsartefakten gibt es ebenfalls Fortschritte. Ein neuer BCI-Prototyp, der in eine Baseballkappe integriert ist, kann auch bei leichten Bewegungen einfache EEG-Signale mit 87% Trefferrate identifizieren. Die Technologie wird anwenderfreundlicher.
Bislang sind Verbraucher-BCIs noch ein Nischenmarkt. Sollten jedoch Tech-Giganten wie Apple in den Markt einsteigen und EEG-Airpods lancieren, würden sich brisante ethische Fragen stellen. Unsere geheimsten Wünsche und Neigungen können die Sensoren zwar nicht entschlüsseln, doch sie spähen ins Gehirn und sie werden immer besser. Könnten sie sich etablieren, würde ein gigantischer Strom neurophysiologischer Daten generiert – ein potentes Werkzeug, um Menschen zu überwachen oder zu manipulieren.
In der Volksrepublik China gibt es bereits erste beunruhigende Beispiele. Die Lokführer der Hochgeschwindigkeitsstrecke Peking-Shanghai mussten Mützen mit integrierten EEG-Geräten tragen. Diese überwachten ihren Ermüdungszustand und womöglich noch mehr. In einem anderen Fall wurden Grundschülern EEG-Headsets aufgesetzt, die Gehirndaten an ihre Lehrer, Eltern und den Staat übermittelten. Eine Leuchte in der Mitte zeigte die Aufmerksamkeit des Schülers an.
Datenschutz und Ethik
Solche Szenarien wären mit der europäischen Datenschutz-Grundverordnung kaum zu vereinbaren. Bei Gesundheitsdaten bedarf es einer umfassenden Information der betroffenen Person und ihrer ausdrücklichen Einwilligung. Ob dies reicht, ist allerdings fraglich. Setzen wir bei hochsensiblen Gehirndaten einfach ein weiteres Häkchen unter zwanzigseitige AGBs, die niemand liest? Je präziser BCIs unser Gehirn auslesen können, desto größer ist auch ihr Missbrauchspotenzial. Mit den hochwertigen EEG-Hauben, die in der Forschung zum Einsatz kommen, kann man bereits heute Lügen entlarven oder die sexuelle Orientierung ermitteln. Sollten sich EEG-Headsets in diese Richtung entwickeln, ist große Vorsicht geboten.
Zurzeit sind die Verbraucher-BCIs aber noch weit von jenen der Forschungslabors entfernt. Das musste auch Max Griffin schmerzlich erfahren. Sein letzter Kampf am 8. Dezember endete für ihn – trotz Mentaltraining mit EEG-Headset – mit einer deutlichen Niederlage.