Warum zappelt der Frosch?

(Kolumne „Meine Natur“ in Die Umwelt, Januar 2018)

Nils Althaus

«Wild animal suffering» steht im Titel. Und ich bin verwirrt. Wildtierleid? In dem Artikel behauptet ein junger Philosoph, dass wir die grösste Katastrophe auf diesem Planeten bisher schlicht und einfach übersehen haben. Keine Hungersnot, kein AKW-Unfall und auch nicht die widernatürliche Massentierhaltung, sondern das Leiden der Tiere in der freien Natur sei die akuteste Notlage. Und deshalb sollten wir diesen Tieren helfen.

«Papa lug, e tote Frosch! Dä isch gaanz tot, gäll? Lug, Papa!»

Mein dreijähriger Sohn hat mich schon wieder beim Rumfingern auf meinem Handy ertappt. Ich wische den jungen Philosophen vom Bildschirm und schaue mir das halbzerquetschte Fröschchen auf dem Asphalt an. Aus sicherer Distanz. «Ah nei lug, dä zablet no! Lug, Papa!» Nein, bitte nicht. «Warum zablet dä so?»

Jetzt, wo mein Sohn in der «Warum-Phase» ist, wäre ich manchmal auch lieber Philosoph. Dann wüsste ich wenigstens was sagen. Oder zumindest was reden ohne was zu sagen. Ja, warum zappelt der eigentlich so? Weil’s ihm weh tut? Kann einem Frosch etwas weh tun? Sollten wir ihm helfen? Sollten wir ihm erst helfen, wenn wir ganz sicher sein können, dass ihm etwas weh tun kann? Und sollten wir dem Frosch nur helfen, wenn ihn ein Auto überfährt? Oder auch, wenn ihn ein Storch frisst? Macht das für den Frosch einen Unterschied? Warum füttern wir Störchen im Zoo bereits tote Tiere und Störchen in der Natur nicht? Und warum in aller Welt schreibe ich eine Kolumne über tote Frösche?

Eigentlich gäbe es doch genug Schönes zu erzählen über «meine Natur». Die befreienden Spaziergänge am Wohlensee. Die wogenden Blätterdächer der Schwarzerlen von unten. Das überwältigende Gefühl, mit allen Lebewesen über ein gigantisches und zugleich zartes Netz verbunden zu sein. Teil der Natur zu sein.

Aber das Fröschchen zuckt wieder und mein Sohn meint: «Lug, är winkt, Papa!» Ich nehme mein Handy hervor, aber es hilft nichts, ich kann das arme Ding nicht vom Bildschirm wischen. Liegenlassen geht auch nicht mehr. «Wei mir no anderi toti Frösch sueche, Papa?» Ok. Geh doch schon mal vor. Ich komme gleich nach.

Irgendwo läuft jetzt eine Kamera, die auf mich gerichtet ist. Und David Attenborough kommentiert. Eine Wildtierdoku in der Entstehung – und ich bin der Protagonist. Ein Trockennasenaffe, dessen Gehirn die seltsame Fähigkeit erworben hat, sich in wildfremde Lebewesen hineinzuversetzen. Und dieser Trockennasenaffe hebt den Fuss, atmet durch und erlöst ein Fröschchen für immer von seinem «wild animal suffering».

«Papa, chumm! Was machsch, Papa?» Hoffentlich was Gutes. Ich komme, kleiner Mann.